Cross-Over besonderer Art - Hollywood trifft auf Sowjetkino:
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“The Kiss of Mary Pickford” in der Retrospektive “Die Rote Traumfabrik”
1926, knapp vier Jahre nachdem der deutsche Kommunist und Zeitungsverleger Willi Münzenberg und Moisej Alejnikow, der Inhaber des einzigen unabhängigen Filmstudios Meschrabpom-Russ in der damaligen Sowjetunion, ihre Zusammenarbeit vertraglich besiegelt hatten, florierte das Geschäft mit der Filmkunst schon sehr erfolgreich. Während das große staatliche Studio Goskino vor allem Revolutionsfilme und Dokumentationen über die Aufbauerfolge produzierte, widmete sich das private Unternehmen vor allem populären Unterhaltungsstoffen, drehte Spielfilme mit dramatischen Stoffen ebenso wie Komödien und leichte Kost. Zwar ist 1925 Sergej Eisensteins legendäres Werk „Panzerkreuzer Potemkin“ nicht bei Meschrabpom hergestellt worden, aber sein deutscher Verleiharm Prometheus übernahm den Vertrieb auch dieses Filmes in Deutschland. In Hollywood wiederum waren die beiden damaligen Superstars Douglas Fairbanks und Mary Pickford zeitgleich auch bereits auf die sowjetische Filmkunst aufmerksam geworden – Pickford und Fairbanks waren damals sicherlich populär wie heute Brad Pitt und Angelina Jolie und bildeten ein ähnliches Traumpaar, dass auch geschäftlich miteinander verbunden war: Schließlich beide hatten 1919 das unabhängige Hollywood-Unternehmen „United Artists“ gegründet und spannten nun Kontakte in alle Herren Länder.
Sicherlich war es vor allem Eisenstein und sein legendäres Werk über die russische Revolution, dass sie beeindruckt hatte – doch als sich die beiden Hollywoodgrößen ein Jahr später sich entschlossen, nach Moskau zu reisen, machten sie nicht dem großen staatlichen Studio Goskino ihre Aufwartung, sondern sie nahmen das Angebot des privaten Konkurrenten Meschrabpom an, deren Ateliers in Moskau zu besuchen.
Die beiden Hollywoodgrößen waren auch in der Sowjetunion den Kinobesuchern bereits durch viele Filme bekannt – schließlich war noch Stummfilmzeit und Filme konnte ohne Synchronisation fast überall gezeigt werden, nur die Zwischentitel mussten ausgetauscht werden. So erregte ihr Besuch großes Aufsehen bei der Bevölkerung in Moskau, hunderte Menschen erwarteten die Ankunft der Hollywoodstars am Bahnhof und eskortierten den Autokonvoi zum Studiogelände. Und geschäftstüchtig wie der Produzent Alejnikow nun einmal war, ließ er während des Besuches der prominenten Gäste gleich diverse Kameras mitlaufen. Auch die Ankunft bzw. die Abfahrt der Hollywoodstars hatte er schon auf Zelluloid bannen lassen. Nun brauchte er nur noch schnell eine kleine Geschichte um diese Aufnahmen herum schreiben zu lassen – und fertig war ein neuer, knapp 80 minütiger Spielfilm, der den englischen Titel trug „The Kiss of Mary Pickford“ – in Deutschland lief er seinerzeit unter dem etwas irreführenden Titel „Moskau glaubt den Tränen nicht“.
Dabei geht es um das russische Mädchen Dusja, die selbst davon träumt, einmal ein großer Filmstar wie ihre amerikanischen Idole zu werden und ihrem Verehrer, einen einfachen Kinokartenabreißer, dazu drängt, es auch mal mit der Schauspielkunst zu versuchen. Doch sein schauspielerisches Talent scheint arg begrenzt und zu mehr als zu einem Gewerbeschein als Stuntman reicht es schließlich nicht. Bis dann Hollywood-Ikone Mary Pickford ihn dann am Rande des Sets trifft und ihm beim improvisierten Dreh einen Kuss verpasst – nun hat der Arme keine Sekunde Ruhe mehr, alle Frauen sind ihm auf dem Fersen und sein plötzlicher Ruhm als der Mann, der Mary Pickford küsste, wird fortan wie ein Fluch für ihn.
Heute würde man es einen typischen Cross-Over-Film nennen und die weibliche Hauptrolle vielleicht statt mit Mary Pickford mit Angelina Jolie besetzen. In der damaligen Sowjetunion erfreute sich der Film großer Beliebtheit, war aber seit jener Zeit kaum mehr in Deutschland zu sehen. Deshalb sei interessierten Zuhörern empfohlen, sich die Wiederholungsvorstellung am Freitag, den 17.02. um 16 Uhr im Zeughauskino anzuschauen. Begleitet wird sie am Piano vom Klavierspieler Gabriel Thibaudeau, der übrigens bei der gestrigen Aufführung sich einen kleinen Spaß erlaubte und auch den legendären Berlinale-Trailer mit dem animierten Feuerwerk, aus den dann ein Bär entsteht und der vor jeder Aufführung gezeigt wird, mit passender Stummfilmmusik neu zu vertonen.
Abschließend sei darauf verwiesen, dass im Rahmen der umfangreichen Retrospektive noch bis Freitag viele interessante Werke aus dem insgesamt knapp 600 Filme umfassenden Repertoire gezeigt werden, darunter übrigens auch die ersten Ton- und Farbfilm der Sowjetunion, die natürlich auch von Meschrabpom produziert wurden. Zurück zur Historie: 1936 war seinerzeit jedoch Schluss: Stalin segnete die Schließung des einzigen unabhängigen Studios ab, dass bereits schon in den Jahren zuvor schrittweise durch Personalwechsel ganz auf die offizielle Parteilinie gebracht worden war. Willi Münzenberg fiel, nachdem er sich 1937 mit der Partei überworfen hatte, bei Stalin in Ungnade und kam im Juni 1940 in Frankreich auf der Flucht von den Nazis unter nie ganz geklärten Umständen ums Leben.
Volker Reißmann
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